Wissensräume unserer Gesellschaft #1 Wissensspeicher der Architektur

Den inhaltlichen Auftakt der Veranstaltungsserie bildete ein Panel im Online-Format, das sich verschiedenen Wissensspeichern von baukultureller Bedeutung zuwendete. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung von Wissen widmete sich die Diskussion hier konkreten Medien der Wissensvermittlung. In diesem Rahmen wurden die Teilnehmenden eingeladen, aus ihren persönlichen ‚Wissensräumen’ heraus über die inhaltliche wie bauliche Bedeutung von Bibliotheken und Archiven zu reflektieren und zudem einige für sie prägende Wissensbauten wie auch Bücher, die Baukultur zum Thema haben, vorzustellen.

Nach einer kurzen Einführung durch Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur und Hans-Jürgen Commerell vom ANCB The Metropolitan Laboratory, eröffnete Lukas Feireiss die erste Veranstaltung im Format der ANCB Lab Talks und im Rahmen der Dialogreihe Baukultur der Bundesstiftung Baukultur, die unter dem Titel Wissensräume unserer Gesellschaft kontinuierlich die vielfältigen und wechselwirksamen Beziehungen zwischen Wissen und Raum in einem disziplinen- und generationsübergreifenden Diskurs gemeinsam beleuchten und hinterfragen soll.

Den inhaltlichen Auftakt der Veranstaltungsserie bildete ein Panel im Online-Format, das sich verschiedenen Wissensspeichern von baukultureller Bedeutung zuwendete. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung von Wissen widmete sich die Diskussion hier konkreten Medien der Wissensvermittlung. In diesem Rahmen wurden die Teilnehmenden eingeladen, aus ihren persönlichen ‚Wissensräumen’ heraus über die inhaltliche wie bauliche Bedeutung von Bibliotheken und Archiven zu reflektieren und zudem einige für sie prägende Wissensbauten wie auch Bücher, die Baukultur zum Thema haben, vorzustellen.

Nach einer kurzen Einführung durch Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur und Hans-Jürgen Commerell vom ANCB The Metropolitan Laboratory, eröffnete Lukas Feireiss die erste Veranstaltung im Format der ANCB Lab Talks und im Rahmen der Dialogreihe Baukultur der Bundesstiftung Baukultur, die unter dem Titel Wissensräume unserer Gesellschaft kontinuierlich die vielfältigen und wechselwirksamen Beziehungen zwischen Wissen und Raum in einem disziplinen- und generationsübergreifenden Diskurs gemeinsam beleuchten und hinterfragen soll.

Teilnehmende
Vor dem thematischen Einstig in die Diskussion wurden die Teilnehmenden der Auftaktveranstaltung – die gemeinsam vier Jahrzehnte überspannten – willkommen geheißen und kurz vorgestellt. Dies waren: Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin und wissenschaftliche Bibliothekarin, die in den letzten dreißig Jahren zahlreiche, prominente Funktionen im nationalen und internationalen Bibliothekswesen wahrgenommen hat, Werner Oechslin, Schweizer Kunst-und Architekturhistoriker, der über zwanzig Jahre Ordinarius für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich und zudem Direktor des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur war sowie der in Berlin lebende, international tätige und preisgekrönte Architekt Francis Kéré, der wie kaum ein anderer Architekt für das Zusammendenken konstruktiver, sozialer und kultureller Aspekte des Bauens steht. Kéré hat zudem seit 2017 die Professur für Architectural Design and Participation an der TU München inne. Nach dieser kurzen Einführung der Gesprächsteilnehmenden wurden diese gebeten, sich selbst kurz dem Publikum vorzustellen. Zudem wurde einführend der persönliche Bezug des Moderators Lukas Feireiss zu jeden von ihnen skizziert. Es ist diesem ein besonderes Anliegen gewesen, diese Dialogreihe sowohl auf einer inhaltlichen wie persönlichen Ebene nachhaltig und nahe am Menschen aufzubauen. So lernte dieser Barbara Schneider-Kempf erst vor wenigen Monaten während seiner Führung durch die von ihm kuratierte Ausstellung Living the City im ehemaligen Flughafen Tempelhof kennen. Den Einfluss Werner Oechslins Schaffens auf sein eigenes Nachdenken über Architektur (insbesondere ephemere Festarchitekturen) konnte gar nicht stark genug formuliert werden. Seit seinen Studienjahren haben Oechslins zahlreiche Veröffentlichungen sowie die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift Daidolos eine prägende Rolle in der Formulierung der kritischen Auseinandersetzung mit Architekturtheorie eingenommen. Francis Kéré lernte Feireiss vor über einem Jahrzehnt erstmals kennen. Damals geschah dies im Rahmen von Kérés Projekts Schulbausteine für Gando e.V. im Kontext des Zumtobel Group Awards bei Aedes. Seitdem verfolgte er mit großer Bewunderung, mit welcher Konsequenz und Klarheit es Kéré gelingt, traditionelle und moderne Bauweisen und Ingenieurmethoden miteinander zu vereinen.

Zugang zu Architektur und Baukultur
Erklärtes Ziel dieser Dialogreihe war es, die Öffentlichkeit für das Thema Baukultur zu sensibilisieren und eine breit angelegte Debatte zu baukultureller Bildung zu initiieren. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand dabei die Formierung, Produktion und Rezeption von sowohl Wissensräumen als auch Raumwissen. Alle drei Teilnehmenden erwiesen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise als Experten auf beiden Gebieten. Erster gemeinsamer Nenner war dabei die Architektur. Daher begann die erste Fragerunde in Hinblick auf deren biografischen Zugang zur Architektur und Baukultur. Im Gespräch mit Kéré schilderte dieser seinen Weg zur Architektur und sein Interesse an der pädagogischen Vermittlungskraft der Kultur des Bauens. Kéré lebt seit 35 Jahren in Deutschland, ist aber in Burkina Faso aufgewachsen. 1985 ist er nach Deutschland gekommen, wo er seine Lehre absolvierte, sowie zur Schule und Universität ging. Bereits seit seinem Studium wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen für seine sozial-engagierte Architektur ausgezeichnet. Viele seiner frühen Projekte sind interessanterweise Schulbauten. Dabei hat er die späteren Benutzer regelrecht ausgebildet und in den Planungs- und Konstruktionsprozess miteinbezogen. Es geht ihm also sowohl um die Produktion von Wissensräumen als auch um die Vermittlung von Raumwissen. Als Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin hat Schneider-Kempf gleich zwei architektonisch einzigartige Wissensräume in der Stadt: den modernen Bau Hans Scharouns an der Potsdamer Straße, im ehemaligen Westberlin gelegen, und sein wilhelminisches Gegenüber Unter den Linden im früheren Ostteil der Stadt, dessen Erweiterung durch H.G. Merz kurz zuvor feierlich eingeweiht wurde. Als Tochter eines Architekten und selbst studierter Architektin fehlt es ihr auch nicht an Raumwissen. Sie reflektierte über ihren Weg zur Architektur und ihren Wechsel in den Bibliotheksdienst und welchen Nutzen sie aus ihrem architektonischen Hintergrundwissen ziehen konnte. Werner Oechlin ist was man herkömmlich als einen Universalgelehrten mit ungewöhnlich vielseitigen Kenntnissen in verschiedenen Gebieten bezeichnet. Er hat Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie und Mathematik studiert, in Zürich promoviert und wurde in Berlin habilitiert. Unterrichtet hat er weltweit an Universitäten wie MIT, Harvard, RISD, FU Berlin, Universität Genf, ETH Zürich und vielen mehr. Schwerpunkt seines Schaffens bilden Studien zur Architekturtheorie und -geschichte. Zudem ist er Gründer und Stifter der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin. Mehr Erfahrung mit Wissensräumen, Raumwissen und Wissensspeichern ist also kaum denkbar. Oechslin berichtete, wie und wann seine Faszination für Architektur und Baukultur begann und was ihn bewog, eine Forschungsbibliothek zu gründen, die Bücher aus allen Wissensgebieten versammelt. Auch für die Architektur gilt laut Oechslin, dass man nichts von ihr versteht, wenn man nur sie versteht.

Buch als Wissensspeicher der Architektur
Auch wenn das Buch heute als Wissensspeicher nicht mehr konkurrenzlos ist, sind es doch noch oftmals Bücher, die uns einen ersten Einstieg in neue Wissens-und Erfahrungswelten ermöglichen. Sie erlauben erst die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema oder einer Lebensgeschichte. Vor diesem Hintergrund nannte der Moderator Lukas Feireiss als seine philosophisch-literarische Initiation in den Architekturdiskurs das von Rainer Maria Rilke ins Deutsche übertragene Buch Eupalinos oder Der Architekt von Paul Valéry. Davon inspiriert reflektierten die Teilnehmenden, welche Bücher als Wissensspeicher der Architektur und Vermittler von Raumwissen für sie persönlich prägend waren und warum.

Bibliothek als Wissensinstitution
Im Folgenden kam das Gespräch vom Buch zur Bibliothek und vom Wissen zum Raum. Es scheint als ob Wissen und Raum elementar miteinander verbunden sind, da Wissen stets einen Raum aufspannt, einen Wissensraum. Wissen wird zudem häufig räumlich situiert wie z. B. in Institutionen wie Bibliotheken. In der Bibliothek findet sich in gewisser Weise das Geistige verkörperlicht. Die Bibliothek ist wörtlich der Versammlungsort und die Trägerin der Bücher und des in ihnen aufbewahrten Wissens. Sie garantiert den Zweck dauerhafter Versammlung und Ordnung dieses Wissens. Oechslin wurde auf seinen Aufsatz Die Bibliothek, die Architektur und die Architektonik angesprochen, in dem dieser sich ausgiebig mit der Bibliothek als einer Angelegenheit der Architektur beschäftigte, durch die sie gebaute, physische Wirklichkeit wird und zudem ihre innere Einrichtung und Ordnung erfährt. In diesem Zusammenhang sprach er von der Vorstellung einer „Ordnung der Dinge“, die als Antrieb menschlichen Tuns hinter allem steht und bezeichnt die Bibliothek in Anlehnung an  Immanuel Kants Begriff der Architektonik als „gebaute Wissensordnung“. Zudem erläuterte er auch, welcher Ordnung seine 2006 eröffnete und von Mario Botta gebaute Bibliothek in Einsiedeln mit einem Gesamtbestand von über 50.000 Büchern folgt. Kéré wurde als praktizierender Architekt auf den Boom des Bibliotheksbaus während der letzten 20 Jahre angesprochen. Reflektiert wurde über das wiedergefundene Interesse an der Bibliothek weltweit und den besonderen Reiz, den diese Bauaufgabe für ihn persönlich als Architekten bietet. Mit Schneider-Kempf wurde der zuvor genannte internationale Boom des Bibliotheksbaus auch anhand steigender Nutzerzahlen und einer wachsenden Attraktivität der Bibliotheken selbst weiter diskutiert. Schneider-Kempf ist verantwortlich für mehr als 12 Millionen Bände. Darunter so wertvolle Schmuckstücke wie die Originalpartituren von Beethovens Neunter Symphonie und Mozarts Zauberflöte sowie der gesamte Nachlass von Alexander von Humboldt. Zugleich sind die Staatsbibliotheken zu Berlin aber auch ganz normale Bibliotheken.

Zur Zukunft der Bibliothek
Parallel zu den zahlreichen Bibliotheksneubauten schreitet jedoch auch die Entwicklung zur entmaterialisierten, digitalen Bibliothek seit einigen Jahrzehnten voran. Vom Internet als allgegenwärtige Bibliothek aus elektronischem Strom ist die Rede. Nicht zu unrecht, wenn man sich die Zahlen anschaut. Im letzten Jahr wurden im Durchschnitt jede Minute des Tages weltweit 4,1 Millionen Suchanfragen bei Google gestellt. Für fast jede dieser Suchanfrage gibt es dann Tausende oder sogar Millionen Webseiten mit potenziell relevanten Informationen. Das macht allein im Verlauf der Lektüre dieses Textes bis hierhin rund 33 Millionen Suchanfragen. Bei Youtube sind es sogar noch mehr. Im Zuge der Digitalisierung und des Verlusts ihres Informationsmonopols entwickeln Bibliotheken sich weg von der reinen Medienausleihe hin zu einem lebendigen Erlebnisraum mit hoher Aufenthaltsqualität und vielfältigen Möglichkeiten sich auszutauschen und weiterzubilden. Von zentraler Bedeutung für diesen Wandlungsprozess ist das Konzept des ‚Dritten Ortes’, als einem sozialen Ort der Begegnung neben dem Zuhause (‚Erster Ort') und dem Arbeitsplatz (‚Zweiter Ort'). Ein Dritter Ort zeichnet sich unter anderem durch Neutralität, Inklusivität, Zugänglichkeit und Niederschwelligkeit aus. Oechslin berichtete vor diesem Hintergrund von seiner Bibliothek, die sich als ein lebendiger Ort des geistigen Austausches versteht. Junge und erfahrene Vertreter verschiedener Wissens- und Kulturzweige treffen hier aufeinander und suchen das fachliche Gespräch. Schneider-Kempf berichtete von ihren Unternehmungen, die Staatsbibliotheken zu Berlin nicht allein als Wissensbehälter, sondern auch als aktive öffentliche Orte der Wissensgenese und -vermittlung zu nutzen. In Anlehnung an die Diskussion des Dritten Orts in der bibliothekarischen Fachdiskussion ist auch immer wieder die Rede von der ‚offenen Bibliothek’ im Gegensatz zur ‚öffentlichen Bibliothek’, wobei erstere die Bibliothek als eine allen immer zugängliche offene Struktur begreift. Mit Kéré wurde ebenfalls der Bezug zu Ihren Nutzern als eine der großen Chancen für die Sicherung der Zukunft der Wissensräume unserer Gesellschaft, wie z.B. den Bibliotheken, diskutiert. Diese grundlegende Einsicht gilt im Grunde für alle Lebensbereiche. In Anwendung auf die Architektur setzt Kéré sehr stark auf die Bewohner. In vielen Projekten werden sie zu Fachleuten ausgebildet und so zu Konstrukteuren ihrer Zukunft. Damit führt er vor Augen, dass sich Architektur nicht nur um Gebäude, sondern immer auch um Menschen dreht. Abschließend zitierte Schneider-Kempf Jorge Luis Borges, Autor der Erzählung Die Bibliothek von Babel, einer wabenförmigen Bibliothek, die sich in eine unendliche Folge von Räumen und Büchern auflöst: "Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt."

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